„Es dauert noch etwas, bis Wunder aus
der Erde wachsen.“ Sagte der Fuchs zu dem einsamen Schaf, das
unaufhörlich auf das Gras starrte. „Ich warte nicht.“, versuchte
das Schaf sich zu rechtfertigen. „Ich bedauere, dass ich mich nicht
traue, das schöne Gras zu fressen.“
„Ach!? Hat der Bauer wieder das Gras
gedüngt? Wenn dem so wäre, müsste die Heide bald voll von totem
Festschmaus bestehen“, dachte sich der Fuchs laut.
„Darum geht es mir nicht. Ich bringe
es nur einfach nicht übers Herz, dieses Gras zu essen, weil Pflanzen
immerhin auch Lebewesen sind“, jammerte das Schaf.
„Ich beginne zu begreifen, wie dumm
und naiv du doch bist. So jemanden wie dich kann ich einfach nicht
vernaschen. Du bist mir zu leichte Kost. Aber trotzdem bin ich nicht
umsonst den weiten Weg von dem Baum dort drüben bis hierhin
spaziert, denn ich werde dich etwas lehren“, versprach der Fuchs
voller Selbstbewusstsein.
„Ach ja!?“, flüsterte schon fast
das Schaf: „Ich bin gespannt.“
„Dann entspann dich! Du bist hier
immerhin nicht auf dem Schlachthof! Na gut, höre mir zu. Dieses
Gras, das du da essen sollst, kann dir nicht sagen, ob es gefressen
werden will. Das haben dir die anderen Schafe eingetrichtert, um
fetter zu werden. Meinst du etwa, unschuldige Lämmchen lassen sich
ungern vernaschen? Wo denkst du hin? Sie lieben es! Genau so sehr,
wie ich.
Sie mögen zwar Widerstand leisten,
jedoch ist es selbstverständlich. Immerhin fresse ich kein Lamm, das
sich selber kocht und mich zum Tische ruft. Das wäre für beide
Beteiligten ein langweiliges Spiel. Darum dieser Widerstand. Je
resistenter dieses Lämmchen mir ist, umso cleverer muss ich
versuchen, es zu umgarnen, bis es nicht mehr anders kann, als mir in
den Mund zu springen. Das mag zwar jetzt alles unmoralisch und böse
klingen, aber so sind die Regeln der Natur.
Mache ich mich zum Verbrecher, nur weil
ich weiß, wie man dieses Spiel spielt?
Diese Natur besteht aus einem ewigen
Kreislauf von Leben und Tod, Entstehen und Vergehen, Lust und
Schmerz. Eine Urkraft, die das Rad des Seins in Bewegung hält. Und
du bist ein Teil davon. Und das Gras nicht zu fressen ist so dumm wie
eine Revolution im Kommunismus.
Du schätzt gar nicht, wie schön der Genuss von frisch geschnappter Beute schmeckt, aber dieses Gefühl kennst du beim nicht bewegenden Gras wahrscheinlich nicht.
Du schätzt gar nicht, wie schön der Genuss von frisch geschnappter Beute schmeckt, aber dieses Gefühl kennst du beim nicht bewegenden Gras wahrscheinlich nicht.
Lass es mich anders veranschaulichen.
Dein fünftes Bein möchte doch
bestimmt mal Bekanntschaft mit einer jungen Schafdame machen. Schau
mich nicht so schamhaft an. Das Begehren begehrt, wessen es bedürftig
ist und Reproduktion deiner Art gehört zu den Grundbedürfnissen des
Lebens. Dein Problem ist nur, die Herde hat dich viel zu sehr
verweichlicht. Sieh mich an. Ich bin das einsame Schaf. Ich töte
dich mit Wattebällchen. Sei doch mal ehrlich, willst du weiterhin so
bleiben?
Pssst. Bleib ruhig. Du brauchst nicht zu antworten, das war eine rhetorische Frage.
Pssst. Bleib ruhig. Du brauchst nicht zu antworten, das war eine rhetorische Frage.
Wir beide kennen die Antwort. Zuerst
einmal brauchst du ein neues Aussehen. Geh mal wieder zum Bauern und
lass dir die Seiten rasieren, das ist momentan der letzte Schrei.
Mach mal öfters einen Spaziergang, deine Beine ähneln den
Grashalmen. Lass dich davon aber nicht unterkriegen. Ich bin auch
nicht der Best-Aussehendste. Schau mich nicht so verwundert an. Das
war höfliche Bescheidenheit.
Du sollst nur anfangen, dich wohl in
deinem kleinen, dürren Etwas von Körper zu fühlen. Noch viel
wichtiger: Du musst lernen, deinen Charakter mehr zu schätzen. Denn
erst dann wirst du selbstbewusster ans Werk gehen. Selbstbewusstsein
ist der Schlüssel. Und zwar genau der zum Hinterhof, wo alle
Schafdamen hausen. Den kannst du mir gerne mal borgen, wenn du mit
ihnen durch bist. Ich bekomme nämlich langsam Hunger. Aber Schluss
damit.
Fang an, deinen Trieben zu folgen.
Fang an, deinen Trieben zu folgen.
Gelegenheit, du starke Versuchung –
entführe mich. Koste jeden Moment dieses bisher armseligen Lebens
aus und das Gras wird dir besser schmecken als je zuvor.
Du musst wissen, nicht fürchten, dass
du eines Tages sterben wirst. Das ist dein Leben und es endet Minute
für Minute.
Und bisher tötest du nur Zeit. Du
Mörder, lässt das dir unterlegene Gras am Leben, während du
innerlich verwehst.
Ich seh’ schon an deinem lustvollen
Blick: Du hast Lust auf viel Sex.
Vergiss’ das mal ganz schnell wieder,
denn sonst hätte ich dir gesagt, du hättest dir ein Handtuch
mitnehmen sollen. Ich lehre dich hiermit nicht die Verführung, um
aus Sport zu ficken, sondern um dich zu verlieben.
Ja genau. Ich glaube an die Liebe.
Jedenfalls an ihre gewaltige Macht, die dich mit Glücksgefühlen
beschmücken kann. Aber vorerst die wahre Definition von Liebe, mein
kleiner naiver Freund, denn die Herde hat dich getäuscht. Gewöhn
dich am besten daran, denn der Weg, den du bestreiten wirst, wird von
Neid gepflastert sein.
Liebe ist die über die
Wasseroberfläche des Unbewussten ragende und von unserem bewussten
Selbst getarnte Spitze eines Eisberges, welcher aus verschiedenen im
Instinkt fußenden Gefühlen besteht. Liebe kann für die einzelnen
Tiere deshalb etwas völlig unterschiedliches sein.
Es liegt in deiner Verantwortung, sie
erstens von schädlichen Bestandteilen frei zu halten und zweitens
nur jenen Schafdamen zu geben, die sie auch verdienen. Doch es wird
langsam spät und das Gewitter, das du da zu hören glaubst, ist mein
Magen. Halte dich an mein Wort und du wirst ein glückliches Schaf,
das die Einsamkeit überwindet. Und wer weiß, vielleicht bist du
eines Tages das Schaf, das ich vor lauter Begierde zu vernaschen
versuche. Dann werden wir uns als Konkurrenten gegenüberstehen. So
ist der Lauf der Dinge. Am besten läufst du voraus. Es wird Zeit, zu
verschwinden. Man kriegt sich.“
Der Fuchs verschwand in der Herde der
Schafe und das damals einsame Schaf lächelte zum ersten Mal in
seinem bisher lustlosen Leben. Denn es wurde auch Zeit für das
Schaf, auf die Schafsjagd zu gehen, um seine Königin zu finden.
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