Freitag, 13. Juli 2012

Hausmeister

„Wie kann ich Wunden heilen, wenn ich die Zeit nicht empfinde?“

Dieses Zitat stammt aus dem Film „Memento“ und es ist eigentlich total zusammenhangslos zum Film, wenn man ihn mit dem Gedanken vergleicht, auf den ich gekommen bin, als es verwendet wurde, aber ich mag diesen verdammten Gedanken, also folgt nun die Schilderung:

Wir alle haben unser Päckchen aus der Vergangenheit zu tragen. Sei es der überfahrende Hund, die Vergewaltigung an jenem Samstagabend, als die Tante „Babysitter“ gespielt hat oder der alkoholsüchtige Vater, der gerne mal seine Fäuste zu Wort kommen ließ.
Dies alles und leider noch viel mehr wird uns Menschen beschert, ob wir nun wollen oder nicht. Und das leichteste Mittel, um damit umzugehen, ist vor der Erinnerung zu flüchten. Wir suchen uns mentale Fluchtmittel. Sei es Musik, Alkohol, Medien oder die Gesellschaft. Wir flüchten. Damit löschen wir die Erinnerung jedoch nicht aus. Nein, so leicht ist das nicht. Wir verdrängen sie nur.
Stellt euch vor, jeder von uns hat ein kleines Kind in seinem Körper, das auf einer Landschaft lebt. Ein Sturm kommt auf und verletzt das Kind. Dieses Kind baut sich ein Haus, um sich davor zu schützen. Doch der Sturm ist noch da. Er wütet ums Haus herum. Dieses Kind also hat die Möglichkeit, auf der großen weiten Landschaft zu leben, doch es existiert in einem verschlossenen Haus. Das Kind fühlt sich sicher in dem Haus, aber unwohl. Unfrei.
Selbst wenn der Sturm weg ist, traut das Kind sich nicht mehr raus. Und falls es dies doch tun sollte, fühlt es sich zu schwach, um auf der zerstörten Landschaft zu stehen.
Nehmen wir mal an, der Sturm sei das Päckchen, das uns gebracht wurde, um unser Leben zu ruinieren. Und dieses Kind sind wir. Nur stellt es euch ein wenig süßer vor, als ihr es seid. Ja genau, mit diesen süßen leicht roten Bäckchen und den Grübchen, wenn es lächelt.
Das Haus dient als verdammte Fluchtmöglichkeit vor dem Sturm.
Wenn der Sturm weg ist, Leute, ist das unser Leben, nachdem das unwiderruflich Scheußliche passiert ist. Diese Scheißlandschaft symbolisiert unser Scheißleben danach. Ihr merkt schon, das kennt ihr doch.
Ja, erwischt meine Freunde. Ihr gehört doch genau so gut wie ich zu den Menschen, die mehr  der Musik als den Menschen zuhören, die mehr trinken als ihre Leber verarbeiten kann, die mehr Fernsehen als ihr platt gesessener Arsch vertragen kann, die sich lieber mit den sekundären Problemen anderer als mit sich selbst beschäftigen. Tolle Häuser, die wir da bauen. Prächtig. Nur leider werden wir irgendwann klaustrophobisch und wollen raus aus dem viel zu engen Haus. Nur wir trauen uns nicht. Also bauen wir einfach ein neues Haus. Da wir uns nicht raus trauen, muss es im alten Haus erbaut werden. Und das neue Haus ist noch kleiner als das Alte. Und wir denken, mit dem neuen Haus hätten wir die Klaustrophobie bekämpft. Doch es wird der Moment kommen, an dem wir bemerken, dass es noch enger wird, und anstatt, dass wir uns aus dem neuen Haus trauen, bauen wir ein weiteres, verflucht noch mal viel kleineres Haus. Immer mehr Wände entstehen, gegen die wir ankämpfen müssen und all diese Wände haben wir uns selbst zuzuschreiben, weil wir feige waren und immer feiger werden. Wir eröffnen einen Teufelskreis, rutschen die Abwärtsspirale runter. Das kleine Kind sehnt sich jedoch nach Freiheit, wie jeder normale Mensch, doch es wird immer mehr und mehr eingeengt und begrenzt. Und das alles wegen einem Sturm.
Stellt euch mal so’n Freak vor, der einfach Häuser in einem Haus erbaut, um seine Klaustrophobie zu bekämpfen. Irrer Kerl. Würde er auf RTL erscheinen, würdet ihr darüber lachen. Ihr lacht dabei aber über eure eigene Dummheit. Dabei sollte dieser Spinner sich mit einer anderen Angst beschäftigen, die er mit dem Hausbau in den Hintergrund geschoben hat und zwar die Angst, sich zu überwinden. Der Sturm mag zwar ganz schön stark gewesen sein und er wird euch mit Sicherheit verletzt haben, aber das ist kein Grund, gleich Bob der Baumeister zu werden. Mag sein, dass kein Hund euren „Strolch“ ersetzen kann, aber das ist kein Grund, niemals in ein Auto steigen zu wollen. Mag sein, dass eure Tante sich an euch vergangen hat, weil ihr Sexleben beschissen war, aber kein Grund, sich vor der Menschheit zu verstecken. Mag sein, dass euer Vater euch ein paar blaue Augen verpasst hat, aber das ist kein Grund, den Frust an eure Kinder rauszulassen. Kauft euch n’ neuen Hund und nennt ihn „Susi“. Geht raus, trefft Menschen, w.z.B. „Patrick“ und „Sam“ und fühlt euch unbesiegbar und geliebt. Verbrennt das Haus eures Vaters und weint euch die Seele aus dem Leib, zerschlagt ein Auto, aber nicht eure Kinder. Alles, was ihr braucht, ist ein kleiner Schubs aus dem Haus. Der Anfang mag schwer sein, aber danach werdet ihr wieder atmen, wie ihr es schon lange nicht mehr getan habt. Dieser Schubs muss jedoch meistens von euch selbst aus geschehen.

Das ganze Gelaber und noch keinen Zusammenhang zum Zitat. Denkt ihr.
Es ist einfach. Wenn man flüchtet, ist man auf der Hut. Man grenzt sich ein und lebt nicht mehr seine Freiheiten und Triebe aus. Und wenn einem dies zustößt, dann lebt man nicht mehr, sondern existiert bloß. Und wenn man existiert, tötet man Zeit.
Wie soll man also die Zeit empfinden, wenn man sie tötet?
Wenn man eine Wunde nicht heilt, macht man sich zum Gefangenen seiner selbst.
Man verschließt sich vor der Blüte des Lebens und der gottverdammten Wolke der Zeit.

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